» Pfarrer Stephan Blank
Wenige Tage noch bis zum Urlaub. Das Wetter spielt verrückt: Hitzewellen und heftige Gewitter kämpfen um die Vorherrschaft. Wenn Sie diesen Text lesen, bin ich längst von der Reise zurück.
Was soll ich heute schreiben?
Ich weiß in diesen Tagen, Ende Juli, noch nicht, wie sich die Ereignisse entwickelt haben werden, die uns zurzeit erschüttern. Ich wünschte mir, dass die Lesenden wissen werden, dass Wunder geschehen sind und die Kriege ein Ende genommen haben. Doch ich befürchte eher, dass die kommenden Wochen bis zum Erscheinen des Gemeindebriefes noch mehr Blut, Bomben, Eskalation und Tod gebracht haben werden.
Die Gedanken kreisen.
Vor zwei Tagen ist Joe Biden von seiner Präsidentschaftskandidatur zurückgetreten. Das Lachen und die positive Energie, die Kamala Harris ausstrahlt, stecken mich an. Ich träume von einer Welt, in der Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und solche, die mehr zu sagen haben als billige Beschimpfungen und primitive Beleidigungen ihrer politischen Gegner, eine Chance haben, gehört zu werden. Ob sie dafür steht und ob sie gewählt wird? Das weiß ich nicht. Aber zumindest hoffe ich – im Juli 2024. Manchmal sagen Leute: „Bitte keine zu politische Andacht oder Predigt!“ Und dann wieder höre ich: „Die Kirche muss Stellung beziehen zu den Themen dieser Zeit!“ Was ist richtig? Davon bin ich zumindest überzeugt: Wenn unser Herr und Heiland Jesus Christus die bedingungslose Liebe zu den Nächsten – und sogar zu den Feinden fordert, dann ist das zwar sicher kein Gedanke, aus dem wir unmittelbar strategische Antworten auf die Konflikte, Krisen und Kriege in der Welt ziehen können; aber die Grundhaltung ist eine deutlich andere, ob ich mich leiten lasse vom Hass und von der Rachgier oder ob ich im unendlich harten Ringen mit mir selbst danach frage, was dem Leben und dem Frieden dient. Ich werde auch bei solchem Ringen schuldig werden; denn die Diktatoren und Kriegshetzer werden nicht aufhören, wenn man sie einfach machen lässt. Aber es bleibt ein Suchen und Entscheiden, motiviert durch den Willen, dass Menschen einst wieder aufatmen können, und nicht etwa verleitet durch den Vergeltungsund Vernichtungswillen. Darum geht’s! Ist das „zu politisch“?
Auch das muss ich sagen, ich darf nicht schweigen:
Die Heilige Schrift gibt von ihrem allerersten Satz Zeugnis davon, dass die ganze Natur ein Wunderwerk der Liebe und Fantasie unseres Gottes ist. Er schenkt allem eine Ordnung, in der die Schöpfungswerke miteinander leben und existieren. Der Mensch wird in die Verantwortung gestellt, das Leben im Sinne einer verantwortlichen „Königsherrschaft“ zu bewahren. Es ist also „um Gottes Willen“ geboten, sehr genau und kritisch hinzuschauen, wie und wo wir das Liebeswerk Gottes zerstören. Und wir werden dabei zudem die uralte Erkenntnis nicht vergessen dürfen, dass die Welt eine Ordnung ist. Wer Teile daraus vernichtet – und sei es „nur“ das Klima, bringt alles zum Kippen und letztendlich zum Sterben.
Und dann ist da noch die eine Begegnung – wie aus der Zeit gefallen mitten in dieser unendlich schrecklichen Zeit
Nach einem Sonntagsgottesdienst, als die Gemeindemitglieder die Salvatorkirche verlassen, kommt eine junge Frau herein. Ich sehe, dass sie einen nahöstlichen Migrationshintergrund hat. Sie erklärt mir, dass sie getauft werden möchte. Wenige Tage später findet das Taufgespräch statt: Ich erfahre, dass sie vor ca. sechs Jahren mit der Familie während des damaligen Krieges aus dem Irak geflohen ist. Darüber hinaus muss sie Gewalt innerhalb der Familie fürchten. Im Religionsunterricht hat sie gehört, dass Gott, wie wir ihn bekennen, auch Frauen wie sie achtet. Darum möchte sie Christin werden. Ich bringe ihr einige weitere wichtige Glaubensinhalte nahe. Am nächsten Freitag ist die Taufe. Anhand von Jesus-Worten versuche ich, ihr ins Herz zu legen: „Du bist geliebt, geachtet bei Gott, schön bei Gott, einmalig bei Gott! Du bist, so wie du bist, ein von Gott vollkommen geachtetes Gotteskind!“ Bisher habe ich immer in traurige Augen geschaut, wenn ich sie ansah; jetzt lächelt sie. Kleine Geschenke nimmt sie mit. Die Taufkerze bleibt in der Kirche. Die kann sie nicht vor der Familie verstecken. Die tragische Situation bleibt; aber ein glückliches Gotteskind verlässt die Kirche. Ich schaue ihr nach und denke: Warum nehmen wir das Geschenk der Liebe Gottes so gleichgültig hin? Warum strahlen wir nicht darüber? Und… was tun wir, damit Menschen wie jene junge Frau die Chance bekommen, öfter befreit und ohne Angst zu lächeln?