Zwar sind wir erst am Ende des 3. Quartals des Jahres 2022 und noch manches wird bis zum Ende des Jahres passieren, aber doch wage ich zu prophezeien, dass das Wort „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 erhoben werden wird. Wobei ein solcher Begriff weniger vorausschauend benutzt werden kann als dass die zeitdiagnostische Beschreibung eher rückblickend eine „Zeitenwende“ erkennen lässt. Dennoch ist der vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Februar genutzte Begriff darin einsichtig, dass sich manche bisherige Erkenntnis und verlässliche Weltinterpretation als ad absurdum erwiesen hat. Die bisherige Weichenstellung, die ein „Weiter so“ suggerierte, die führt an sich in eine klimatische Katastrophe und unter den neuen Vorzeichen des Krieges in Europa zerbröselt die liebgewonnene Zuversicht auf ein friedvolles Miteinander auf alle Zeiten hin.
Biblisch hat es immer wieder Krisenszenarien, durchaus mit existentiell bedrohlichen Erscheinungen gegeben, in die die Menschen gestellt waren. Die Propheten drohten mit bzw. weissagten „Zeitenwenden“ für die Menschen. Selbst der letzte der biblischen Propheten, nämlich Johannes, der Täufer, kündigt mit drastischen Worten eine notwendige Zeitenwende an: Ändert euer Leben! Denn das Himmelreich kommt jetzt den Menschen nahe! (Matthäus 3,2). Und das ist keineswegs eine positive Vorausschau, sondern eine, die das Gericht ankündigt und damit eine Perspektive auf das Ende hin wirft. Zugleich geben aber sowohl Johannes als auch die anderen Propheten den Hinweis auf eine neue Blickrichtung, die die Rettung bedeuten kann. Diese Schlüsselbegriffe sind Umkehr und Hoffnung.
Die Umkehr setzt den Moment der Erkenntnis und der Buße voraus, wie Johannes sie klar benennt. Erkennen, dass man auf einem falschen, in die Irre führenden Pfad unterwegs ist und sich und sein Leben neu ausrichten muss. Insofern bedeutet die Umkehr zugleich eine Hinkehr. Eine Hinkehr hin zu Gott und zu Jesus Christus. Das Annehmen eines neuen Weges.
Dieser neue Weg ist getragen von einer Hoffnung. Hoffnung meint dabei nicht eine Vertröstung auf ein Zukünftiges, das noch in weiter Ferne ist und somit leer für das Heute ist. In der Auferstehung von Jesus Christus ist die Hoffnung zu einer Gewissheit geworden, dass das Unmögliche möglich geworden ist.
Biblische Zeitenwenden sind immer getragen von der Erfahrung, dass im Glauben an Gott Dinge möglich sind, die jenseits unserer Erwartung liegen. Man mag es als „Wunder“ bezeichnen wollen oder als „Gotteszeichen“. Aber sie sind mehr als das. Sie sind der Anbruch einer neuen Wirklichkeit, in die wir gestellt sind. Die Umkehr zur Hoffnung garantiert nicht, dass das Leben einfacher oder undramatischer wird. Aber sie zeigt einen Weg auf, um inmitten der Zeitenwende bestehen zu können. Und damit wird sie in der Gewissheit des Glaubens zu dem tragfähigen Fundament unseres Lebens. Und in dieser Fundamentierung stehen wir auch in allen „Zeitenwenden“ fest und gewiss.
» Pfarrer Martin Winterberg